Inzwischen sind wir uns alle einig, dass der Begriff „Fake News“ alles andere als hilfreich ist. Ohne eine Alternative bleibt uns jedoch nichts Anderes übrig, als ihn trotzdem ungeschickt und mit Anführungszeichen versehen zu verwenden. Auch einen alternativen Ausdruck zu finden ist problematisch, denn es geht hier um mehr als nur um Nachrichten. Es geht um das gesamte Informations-Ökosystem. Hinzu kommt, dass das Wort ‚fake‘ (zu Deutsch ‚falsch‘) nicht einmal ansatzweise die Komplexität der verschiedenen Arten von Fehlinformationen und Desinformationen widerspiegelt. Fehlinformationen beschreiben das unbeabsichtigte Verbreiten von falschen Informationen, Desinformationen hingegen das absichtliche Erfinden von wissentlich falschen Informationen und deren Verbreitung.
Um das aktuelle Informations-Ökosystem besser zu verstehen, müssen wir die folgenden drei Aspekte genauer aufschlüsseln:
- die verschiedenen Arten von Inhalten, die erstellt und verbreitet werden
- die Beweggründe derjenigen, die solche Inhalte erstellen
- die Art und Weise, wie diese Inhalte verbreitet werden
All das ist wichtig. Denn wie Danah Boyd in einem ihrer aktuellen Artikel zusammenfasst: Wir befinden uns im Krieg. Einem Informationskrieg. Natürlich sollten wir uns Sorgen machen, wenn Menschen (einschließlich Journalisten) unwissentlich Fehlinformationen verbreiten. Weitaus besorgniserregender sind jedoch die systematisch geplanten Desinformationskampagnen, mit denen vorsätzlich falsche Informationen in Umlauf gebracht werden. Bisherige Versuche, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, waren auf Übertragungstechnologien angewiesen, die auf dem ‚One-to-Many‘-Prinzip basieren (d.h. Inhalte werden von einem Ort aus oder von einer Person an mehrere Orte oder Personen übertragen). Soziale Netzwerke ermöglichen hingegen die gezielte Verbreitung von propagandistischen „Informationsteilchen“. Diese erreichen somit genau die Nutzer, die eher dazu neigen oder gewillt sind, bestimmte Nachrichten und Inhalte anzunehmen und sie weiterzuverbreiten.
Sobald diese Personen unwissentlich Artikel, Bilder, Videos oder Memes, die irreführend oder sogar erfunden sind, geteilt haben, erscheinen diese auf dem Social Media Feed ihrer Kontakte. Diese vertrauen aller Wahrscheinlichkeit nach der Person, die den ursprünglichen Post erstellt hat und teilen diesen daraufhin selbst. Diese ‚Informationsteilchen‘ rasen dann mit Höchstgeschwindigkeit durch das Informations-Ökosystem, angetrieben von den scheinbar vertrauenswürdigen Peer-to-Peer-Netzwerken. Dies ist weitaus besorgniserregender als die von profitgierigen mazedonischen Teenagern erstellten Webseiten für Fake News.
Die verschiedenen Arten der Fehl- und Desinformationen
Vergangenen November befasste ich mich mit den verschiedenen Arten fraglicher Informationen, die ich während der US-Präsidentschaftswahl im Umlauf gesehen hatte. Seither versuche ich eine Typologie zu erstellen (und möchte mich an dieser Stelle bei Global Voices für die Hilfe bei der Weiterentwicklung meiner Definitionen bedanken). Meiner Meinung nach gibt es sieben unterschiedliche Arten von problematischen Inhalten in unserem Informations-Ökosystem. Diese können auf einer Skala eingeordnet werden, die grob abmisst, wie stark oder schwach die Täuschungsabsicht ist.
Warum werden diese Inhalte erstellt?
Wenn wir ernsthaft Lösungen für diese Probleme entwickeln wollen, müssen wir auch darüber nachdenken, wer die verschiedenen Arten von Inhalten erstellt und warum.
Anfang Januar besuchte ich einen Vortrag von Eliot Higgins in Paris, in der er vier ‚Ps‘ vorstellte, die die verschiedenen Beweggründe für das Erstellen solcher Inhalte erklären. Ich habe hierüber lange nachgedacht und zusätzlich zu Eliots ursprünglichen Beweggründen vier weitere Ps hinzugefügt: poor journalism, d.h. schlechter Journalismus, Parodie, Provokation, Passion, Parteilichkeit, Profit, politischer Einfluss oder politische Macht und Propaganda.
Die Arbeit an diesen Kategorien ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch lassen sich durch deren Aufschlüsselung und Vergleich miteinander bereits deutliche Muster erkennen, die nahelegen, dass bestimmte Arten von Inhalten für bestimmte Zwecke erstellt werden.
Verbreitungsmechanismen
Letztlich müssen wir auch in Betracht ziehen, auf welche Weise diese Inhalte verbreitet werden. Manche werden unabsichtlich auf sozialen Netzwerken von Menschen verbreitet, die auf ‚Teilen‘ klicken, ohne die Fakten zu prüfen. Andere werden von Journalisten vervielfältigt, die heute mehr denn je unter Druck stehen, Informationen aus dem Social Web zu entschlüsseln und sorgfältig und in Echtzeit über diese zu berichten. Wiederum andere werden von entfernt miteinander vernetzten Gruppen in Umlauf gebracht, die absichtlich versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Zu guter Letzt gibt es Informationen, die im Rahmen professionell organisierter Desinformationskampagnen mithilfe von Bot-Netzwerken und Troll-Fabriken verbreitet werden. (Wie Sie sehen können, bräuchte ich eine 3D-Matrix, um meine Graphen abzubilden und diese mit den verschiedenen Verbreitungsmechanismen abgleichen zu können.)
Dieser Artikel auf Buzzfeed verdeutlicht, wie eine Gruppe von Trump unterstützenden Teenagern sich online zusammengefunden hat, um die französischen Wahlen im April zu beeinflussen. Sie verwenden gemeinsame Ordner mit teilbaren Meme-Vorlagen, sogenannte ‚Meme-Shells‘, die es selbst denjenigen ohne Französischkenntnisse erlauben, Grafiken in Hashtag-Streams zu verbreiten. Es ist heutzutage für entfernt miteinander vernetzte Gruppen unglaublich leicht, mithilfe von kostenfreien Tools ihre privaten Nachrichten zu koordinieren und sich so zu mobilisieren.
Das koordinierte und konstante Übermitteln von Nachrichten kann unser Gehirn leicht täuschen, da es aufgrund der überwältigenden Masse an Informationen, die tagtäglich an unseren Augen vorbeirast, ohnehin schon erschöpft ist und immer mehr auf heuristische Schlussfolgerungsmethoden angewiesen ist. Somit werden mehrere Nachrichten zum gleichen Thema von unserem Gehirn als glaubwürdig interpretiert. Wir sagen uns, es muss wahr sein – ich habe diese Behauptung heute bereits mehrere Male gesehen.
Auch mit visuellen Inhalten gehen wir weitaus weniger kritisch um. Das gleiche gilt für Informationen, die mit unseren bestehenden Ansichten übereinstimmen und diese bestätigen. Und letztlich ist unser durch den Informationsüberfluss bereits erschöpftes Gehirn viel leichter zu beeinflussen.
Was können wir tun?
Wir spielen alle eine fundamentale Rolle in diesem Ökosystem. Jedes Mal, wenn wir passiv Informationen akzeptieren oder Posts, Bilder und Videos teilen, ohne diese zu überprüfen, tragen wir zu dem Lärm und der Verwirrung bei. Das Ökosystem ist inzwischen so verseucht, dass wir Verantwortung übernehmen und eigenständig die Inhalte überprüfen müssen, die wir im Internet sehen.
In den Wochen nach der US-Wahl beobachteten wir, wie Journalisten die Erschaffer von Fake News ausfindig machten. Diese Erschaffer hatten laut eigenen Angaben eines gemeinsam und zwar versuchten sie, links geneigte Menschen mit ihren Nachrichten zu täuschen, scheiterten aber letzten Endes. Einer dieser Fake-News-Erschaffer, Jestin Coler, verriet der Nachrichtenorganisation NPR: „Wir haben Ähnliches mit den Liberalen versucht. Doch es hat nie funktioniert, konnte nie Fuß fassen. Man wird innerhalb der ersten zwei Kommentare entlarvt und dann verläuft sich das Ganze einfach im Sand.“
Doch die Überlegenheit der Liberalen beim Aufdecken von Fake News erwies sich als kurzweilig. Seit der Amtseinführung von Trump sehen wir, wie beide Seiten falschen Informationen auf den Leim gehen und diese weiterverbreiten. Dass die Linken genauso menschlich sind wie die Rechten, veranschaulicht nicht nur dieser Meme-Generator für Trump-Verfügungen oder die Tatsache, dass bislang niemand die ‚bösartigen‘ Twitter-Accounts eigenständig verifizieren konnte. Es zeigt sich auch darin, dass Nutzer einen Post von Jill Steins Parodie-Account retweeteten, weil sie sich verzweifelt wünschten, er wäre wahr und behaupteten, Vize-Präsident Pence hätte einen Tweet gelöscht, der das Einreiseverbot für Muslime verurteilt, obwohl dieser seit Dezember auf seiner Timeline sichtbar ist. Wenn Menschen wütend sind und sich fürchten, schwindet ihre Fähigkeit kritisch zu denken dahin.
Craig Silverman war bei der Radiosendung ‘On the Media’ zu Gast und sprach über die Notwendigkeit für emotionale Skepsis. Dem kann ich nur zustimmen. Hier geht es nicht nur darum, mehr Projekte für Nachrichtenkompetenz zu finanzieren, sondern den Menschen beizubringen, ihre instinktiven Reaktionen zu hinterfragen. Wenn Sie ein bestimmter Inhalt besonders wütend macht oder Sie sich auf die eigene Schulter klopfen (weil jemand ihren Standpunkt bestätigt), schauen Sie noch einmal genauer hin.
Beim Essen wird einem geraten, man sollte 20 Minuten warten bevor man sich Nachschlag nimmt, da es eine Weile dauert bis das Gehirn die Signale vom Magen empfangen hat. Für Informationen gilt ein ähnliches Prinzip. Sie müssen nun nicht unbedingt 20 Minuten warten bis Sie auf ‚Teilen‘ klicken, doch 2 Minuten wären wahrscheinlich schon ratsam.
Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase. Um die Situation, in der wir uns befinden, voll und ganz begreifen zu können, müssen wir den Ernst der Lage erkennen und wissen, was wir eigentlich bekämpfen. Mit dem Begriff „Fake News“ um uns zu schmeißen, wird uns nicht weiterbringen – selbst wenn wir ihn in Anführungszeichen setzen.
Sollten Sie an weiteren Informationen zu diesem Thema interessiert sein, schauen Sie sich meine fortlaufende Liste mit englischsprachigen Artikeln an.